BERÜHRUNG IN DER PSYCHOTHERAPIE
Berührung in der Psychotherapie
Artikel von Felix Hohenau
Es gibt unzählige Vorstellungen, Annahmen und Vorurteile gegenüber taktiler Berührung in der Psychotherapie. PsychotherapeutInnen, die nach körperpsychotherapeutischen oder nach Körperpsychotherapeutischorientierten Methoden arbeiten, und PatientInnen bezw. KlientInnen auch taktil berühren, machen das oft verschämt und bekennen sich nicht dazu, weil sie sich fürchten, sich dadurch der Kritik der Unprofessionalität und der Übergriffigkeit auszusetzen.
Häufig wird Berührung in der Psychotherapie von der psychoanalytischen Sicht der Abstinenz aus betrachtet. Dabei wird übersehen, dass unterschiedliche Psychotherapien auch eine unterschiedliche Ethik haben. G. Pöltner legte in seinem Artikel: ´Ethische Dimensionen psychotherapeutischen Handelns` dar, dass es zu den ethischen Anforderungen eines Psychotherapeuten gehört, sich um eine menschengerechte Anthropologie, um das Menschenbild zu sorgen. Eine Konsequenz dieser Sorge ist die Erkenntnis, dass verschiedene psychotherapeutische Richtungen auch eine unterschiedliche Ethik haben können und müssen.
PsychotherapeutInnen sehen unter Berührung und taktiler Berührung häufig etwas Grundverschiedenes. Ich werde mich jetzt den ethischen Grundlagen von psychotherapeutischer Berührung annähern. Der Begriff Berührung ist nicht eindeutig definierbar. Menschen können sich mit Worten berühren, sie können sich von Musik berühren lassen oder sie können in zwischenmenschlichen Begegnungen berührt sein. Stimmungen der Natur können uns ebenso berühren, wie wir im Geiste berührbar sind. So gesehen ist Berührung eine umfassende Metapher. Im konkreten eingeschränkten Sinn kennen wir die unmittelbare Berührung, die taktile Berührung im Sinne eines unmittelbaren körperlichen Kontaktes (Thomas Busch). Eine Schwierigkeit besteht darin, dass diese beiden Verständnisse von Berührung nicht trennbar sind. Denn die körperliche – taktile Berührung ist immer eingebettet in ein Kontinuum von Soma und Psyche, von Leib und Seele, vom Selbst. Taktiles Berühren ist nicht nur Anfassen, sondern eine Berührung, die durch taktilen Kontakt stattfindet. Unabhängig, welche Form von körperlicher Berührung angewandt wird, ob jemand gehalten wird, ob eine Hand aufgelegt ob gestützt wird, oder ob ein körperlicher Widerstand geben wird. Auf die gesamte Phänomenologie des Berührens werde ich jetzt nicht eingehen, sondern verweise die Artikel von Thomas Busch. Es ist grundsätzlich festzustellen, dass taktile Berührung eine psychotherapeutische Intervention ist und so auch zu betrachten ist, d. h. sie wird überlegt, bewusst eingesetzt nur in stimmigen Situationen, im Rahmen des Arbeitsbündnisses und selbstverständlich nur mit Einwilligung des/der PatientIn eingesetzt. Daraus ergibt sich, dass etliche PatientInnen während ihres gesamten Therapieprozesses auch in einer Körperpsychotherapie nie taktil berührt werden.
Wird Berührung umfassend verstanden, kann es zumindest keine tiefenpsychologisch orientierte Psychotherapie ohne Berührung geben. Das Besondere der Körperpsychotherapie besteht u. a. darin, dass sie diese Berührung auch ganz konkret macht, nicht nur auf der metaphorischen Ebene bleibt, sondern Berührung auch ganzheitlich versteht, als Interaktion die auch das konkret Körperlich - taktile mit einschließt.
Es versteht sich von selbst, dass diese Sicht von Berührung bestimmte ethische Implikationen hat, auf die ich jetzt eingehen will. Im Folgenden verwende ich den Begriff Berührung immer im ganzheitlichen Sinn, der körperliche Berührung natürlich auch beinhalten kann, aber nicht muss, wenn die Berührung auf alle Fälle körperliche taktile Berührung beinhaltet, weise ich darauf hin.
* Manipulative Berührung
Eine dieser Implikationen ist, dass auch bei Berührung, die Taktiles mit einschließt, nicht in erster Linie darauf geachtet wird was die Berührung bezweckt, -auf den manipulativen Effekt-, sondern auf die Beziehung. Bei jeder Form von Intervention, auch bei rein verbaler, kann die Achtsamkeit des/der TherapeutIn in erster Linie auf Effekte bei dem/der PatientIn oder auf seinen/ihren Prozess, auf die psychotherapeutische Interaktion und die Beziehung gerichtet sein. Ich halte es für sinnvoll, dass sich der/die TherapeutIn bei jeder Berührung bewusst ist, dass ein Ich ein Du berührt. Ob eine Intervention eine Manipulation ist oder nicht hängt daher nicht von der Art der Intervention ab sondern von der Einstellung des/der TherapeutIn.
* Berührung um ihrer selbst willen
In den 70. und teilweise noch in den 80er Jahren glaubten viele PsychotherapeutInnen, dass je mehr und je tiefer sie einen Klient/ PatientIn berührten, desto besser. Dieses Miss - Verständnis hatten jedoch nicht nur KörperpsychotherapeutInnen. Auch hier spielt es keine Rolle, welche Interventionen verwendet wurden, um zu berühren. Heute haben PsychothrapeutInnen ein anderes Verständnis vom therapeutischen Prozess und von Integration. Berührung wird immer im Kontext des Zustandes des/der KlientIn/ PatientIn, des therapeutischen Prozesses und der Beziehung gesehen.
* Berührung und Sexualisierung
Sexualisierung der therapeutischen Beziehung durch das Bedürfnis des/der TherapeutIn kann genau genommen immer nur über eine Berührung im allgemeinen Sinn stattfinden und ist unethisch. Natürlich ist eine Intensivierung der Sexualisierung durch taktile Berührung noch strikter zu verurteilen. Wobei zu sagen ist, dass jede Form der Intensivierung der Sexualisierung aus dem Bedürfnis des/der TherapeutIn, egal ob durch Blicke, die Stimme, oder Gesten, immer genauso unethisch ist. Der Vorwurf, dass durch taktile Berührung immer eine Sexualisierung stattfindet, ist genauso unhaltbar wie die Behauptung, jeder Blick ist eine Sexualisierung. Sexualisierung ist nicht abhängig von der Art der Intervention, sondern von der Intention, unabhängig, ob diese bewusst oder unbewusst stattfindet. KörperpsychotherapeutInnen sollten sich durch ihre Ausbildung und Selbsterfahrung, ihres Körpers und ihrer Intentionen bewusst sein, und daher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie durch Gesten, durch die Stimme, oder durch taktile Berührung sexualisieren, auf keinen Fall größer als bei anderen PsychotherapeutInnen.
* Berührung als korrigierende emotionale Erfahrung
Viele PatientInnen / KlientInnen haben gravierende Berührungsmängel in ihrem Leben erlitten und auch in ihrer derzeitigen Lebenssituation kaum Gelegenheit zu Berührung. Sie haben die Hoffnung geheilt zu werden, wenn genügend Nachnährung stattfindet. Auch hier ist Berührung, die auch körperliche miteinbezieht, gleich zu betrachten wie Berührung überhaupt. Gehalten werden kann man nicht nur auf körperlicher Ebene. PatientInnen / KlientInnen können auch verbal, mit Blicken und Gesten gehalten, gestützt und nachgenährt werden. Die Entscheidung, ob Nachnährung sinnvoll ist oder ob es sich nur um eine reine Bedürfnisbefriedigung des/ der PatientIn handelt, hat nichts mit der Form und Art der Nachnährung zu tun.
Grundsätzlich und zusammenfassend meine ich, dass Berührung, die auch körperliche Berührung einbezieht, nicht grundsätzlich anders zu betrachten ist als Berührung im Allgemeinen in der Psychotherapie. Daher sind auch keine eigenen Regeln dafür notwendig. Es ist allerdings festzustellen, dass dafür spezielles Wissen und genügend Erfahrung, - besonders auch Eigenerfahrung- notwendig ist, um mit Berührung, die auch die körperliche Ebene einbezieht, verantwortlich, stimmig und sinnvoll in der Psychotherapie umzugehen.
Pöltner Günther: Ethische Dimensionen psychotherapeutischen Handelns in Psychotherapieforum Vol 11 Nr. 4 Springer Wien New York 2003
Busch Thomas: Therapeutisches Berühren als reifungsfördernde Intervention` in Handbuch der Körperpsychotherapie` Herausgeber G. Marlock u. Heiko Weiss. Schattauer, München 2006, S 517 - 529
Busch Thomas: ` Die berührte Leib-Seele ` Ausbildungspapier des Institut für Körperpsychotherapie, Berlin 2005