SEELE UND KÖRPER ALS EINHEIT SEHEN

In der Zeitschrift Clinicum (Österreichs führende Zeitschrift für Medizin und Krankenhaus) ist in der Dezemberausgabe 2008 der Artikel "Seele und Körper als Einheit sehen" erschienen.

In dem Artikel befasst sich die Vorsitzende der AABP Dr. Elfriede Kastenberger, Psychotherapeutin und Ärztin, mit der historischen Entwicklung der Körperpsychotherapie, deren Grundprinzipien und Forschungsergebnissen, der Bedeutung für die Medizin und dem Fortbildungsangebot der AABP.

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Seele und Körper als Einheit sehen

Die Körperpsychotherapie zählt – nach der Psychoanalyse – zur den ältesten Psychotherapie-Richtungen. Dennoch hat sie in den deutschsprachigen Ländern jahrzehntelang ein Schattendasein gefristet. Nun steigt das Interesse an der Behandlungsform, die Seelisches mit Körperlichem verknüpft.

Von Dr. Elfriede Kastenberger

Wie sehr Gefühle sich körperlich ausdrücken oder körperlich verankert sind, wissen wir intuitiv: „wir schlucken unsere Wut hinunter“, „etwas liegt uns im Magen“, „wir halten den Nacken steif“ oder „lassen den Kopf hängen“. Vegetative Phänomene und physiologische Reaktionen des Körpers mit Gefühlen in Zusammenhang zu sehen, ist das Grundprinzip der Körperpsychotherapie. Seit einigen Jahren wird ein gesteigertes Interesse an dieser Therapieform verzeichnet. Der Zugang zum oder über den Körper scheint nun in den verschiedensten Psychotherapie-Richtungen, aber auch in Soziologie und Philosophie unverzichtbar; es werden viele Symposien und Kongresse zu diesem Thema abgehalten.

Historische Entwicklung

Bereits Georg Groddeck, ein Zeitgenosse Siegmund Freuds, arbeitete in seinem Sanatorium in Baden-Baden mit Massage und psychotherapeutischen Gesprächen. Sándor Ferenczi und Otto Fenichel versuchten, das körperliche Agieren und körperlichen Ausdruck in die Psychoanalyse mit einzubeziehen. Etwa in den 1930er Jahren fiel dem jungen Wiener Psychoanalytiker Wilhelm Reich auf, dass Widerstand in der Analyse mit muskulären Verspannungen einhergeht, und dass sich die Widerstände lösten, wenn er die Muskulatur bearbeitete oder an der Körperhaltung oder am Atemmuster seiner Patienten ansetzte. Diese Verknüpfung von Seelischem mit Körperlichem hat Reich im Laufe der Jahre weiter ausgearbeitet und er gilt somit als der Gründervater der Körperpsychotherapie. Dabei wird gerne übersehen, dass diese auch Wurzeln in der Jugend- und Reform-Bewegung der 1920er-Jahre hat, in der unter vielen anderen Elsa Gindler eine wichtige Rolle spielte. Daraus entstammt z.B. die Konzentrative Bewegungstherapie und die Tanztherapie.

Reich fokussierte zunehmend auf die Sprache des Körpers und bezog sich immer mehr auf die Einheit von Körper und Seele. In seinen Forschungsarbeiten zeigte sich bereits der Zusammenhang zwischen Psyche, Vegetativum, Muskeltonus und Körperhaltung. Als Reich wegen der Differenzen in der psychoanalytischen Vereinigung nach Berlin ging und dann, auf der Flucht vor dem Nationalsozialismus, über Skandinavien schließlich in die USA auswanderte, hinterließ er entlang seines Weges Analysanden und Schüler, die seine Arbeit weiterentwickelten. Besonders in den USA entstanden wichtige Richtungen in der Körperpsychotherapie. Die bekanntesten sind Bioenergetik (Alexander Lowen), Core Energetic (John Pierrakos), Radix (C. Kelly) und Hakomi (Ron Kurzt). In Europa entwickelten Gerda Boyesen die Biodynamische Psychologie und David Boadella die Biosynthese, und in der Folge entstanden viele kleinere Schulen, die sich in der Anwendung bestimmter Techniken, aber nicht grundlegend unterscheiden.

Grundprinzipien und Forschungsergebnisse

Die Körperpsychotherapie zählt zu den psychodynamischen Psychotherapie-Richtungen, die Annahme eines dynamischen Unbewussten spielt eine wichtige Rolle. Sie beschreibt Gefühle nicht nur als etwas, das im „seelischen Apparat“ abläuft, sondern auch als körperlichen Prozess: Emotionen und Affekte gehen immer auch mit körperlichen Veränderungen, mit Modifikationen im Muskeltonus und im Vegetativum einher. Ebenso erfolgt die Verdrängung, Unterdrückung, Hemmung von Gefühlen oder Impulsen mit Hilfe muskulärer An- oder Verspannung und Veränderungen in der Atmung. Dieses für die Körperpsychotherapie wesentliche Paradigma wird jetzt von der Emotionsforschung bestätigt.

Körperpsychotherapie geht von einem Potential zu Entwicklung, einem Streben nach Selbstverwirklichung, Wachstum und Reifen im Menschen aus. In der persönlichen Geschichte kommt es durch Umwelt und biologisch bedingte Entwicklungsbedingungen zu mehr oder minder starken Einschränkungen und Hemmungen. In dem geschützten Raum, den die Therapie bietet, kommt wieder die Fähigkeit und der Drang des Menschen zur Entfaltung der Persönlichkeit zum Tragen.

Es handelt sich um eine erlebensaktivierende Psychotherapieform, das heißt, dass das bewusste Wahrnehmen und Zulassen von Gefühlen, das Spüren des Körpers eine wichtige Rolle spielt. Die Klienten werden ermutigt, unbewusste Handlungsimpulse wahrzunehmen und ihnen vielleicht zu folgen. Es kann darum gehen, real zu spüren, wie es sich anfühlt, sich z.B. aus einer üblicherweise gebeugten Haltung aufzurichten, vielleicht auch zu spüren, was daran hindert, aufrecht zu stehen, und welche Erinnerungen und Bedeutungen damit verknüpft sind.

Die Säuglingsforschung zeigt, dass Wahrnehmung, Verarbeitung und Handlung für den Säugling im Erfahren der Welt, im Lernen untrennbar verknüpft sind, was bedeutet, dass für die psychische Entwicklung die Verankerung im Körperlichen unabdingbar ist. Damit bestätigt sie eine der Grundannahmen der Körperpsychotherapie.

Die Forschung über Oxytocin bestätigt, wie wichtig angenehmer Kontakt für die Entwicklung auf psychischer und körperlicher Ebene von Kindern, aber auch für das Wohlbefinden Erwachsener ist. Besonders Gerald Hüther zeigt in seinen Arbeiten, dass Lernen insgesamt, aber auch das Erlernen von Gefühlen untrennbar mit der entsprechenden körperlichen Aktivität verknüpft ist und auch nur als Komplex zerebral gespeichert wird.

Das große Interesse an der Körperpsychotherapie hängt anscheinend mit den Ergebnissen der Forschung in der Säuglingsforschung, Neurobiologie und Emotionsforschung  zusammen, die die empirischen Entdeckungen von Reich, Lowen, Boyesen und Boadella und vielen anderen bestätigen und damit für die wissenschaftliche Community interessant machen.

Bedeutung für die Medizin

- Kommunikation: Jede Form einer psychotherapeutischen Aus- oder Weiterbildung verbessert die Kommunikationsfähigkeit des Arztes mit dem Patienten. Ein böses Diktum besagt, dass jeder Autoverkäufer mehr über Gesprächsführung lernt als ein Arzt. In der Medizin wird über der enormen Zunahme der technischen und medikamentösen Möglichkeiten gerne vergessen, dass die Kommunikation zwischen Arzt und Patient ein wichtiger Heilfaktor in der Medizin ist. In letzter Zeit bestätigen Untersuchungen, wie z.B. Heilung gefördert dadurch wird, dass sich der Patient  in einer vertrauensvollen Beziehung zu seinem Arzt unterstützt fühlt.

In der Körperpsychotherapie werden die üblichen Möglichkeiten der Psychotherapien, den zwischenmenschlichen Kontakt zu verbessern, erweitert durch das bewusstere Wahrnehmen der Körpersprache. Die Körpersprache des Patienten kann mir sehr viel über seine aktuelle Befindlichkeit mitteilen, über Stimmung, Haltung zur Situation. Sie kann mir z.B. zeigen, dass die Person, die mir gegenüber sitzt, in Angst erstarrt ist und damit gar nicht im Stande ist, meine Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten (daraus erklärt sich das häufige „Das hat mit niemand gesagt“ von Seiten der Patienten trotz dokumentierter Aufklärung). Und sie gibt auch Werkzeuge in die Hand, wie ich diese Person unterstützen kann, sich auf die Situation einzulassen.

- Befindlichkeitsstörungen: Viele Befindlichkeitsstörungen, die sich in Symptomen ohne pathologisches Substrat äußern, können körpersprachlicher Ausdruck sein – für ein Thema, ein Problem, das nicht bewusst ist, oder, nach Ansicht des Patienten, nicht ausgedrückt werden darf. Zugang kann man oft mit ganz einfachen „Interventionen“ finden (wenn man in der Lage ist, die zugrunde liegende Stimmung wahrzunehmen): Druck und Engegefühl in der Brust einer alten Dame veranlassen mich, durch die mitschwingende Stimmung, zur Frage „Was drückt denn so?“ (während des Anlegens des EKGs) – Die Antwort: „heute ist der Todestag meines Sohnes“; das führt bei entsprechend mitfühlender Reaktion zu dem erlösenden (und die körperliche Symptomatik auflösenden) Tränenstrom. Ähnliches gilt für andere Symptome. Die Zusammenhänge sind, bei einfühlsamer, stützender Grundhaltung des Arztes, für die Patienten leicht akzeptierbar und nachvollziehbar; diese Form ärztlicher Kommunikation wird als außerordentlich positiv und einfühlsam erlebt.

- Berührung: In der Medizin wird untersucht, angegriffen, berührt. In der Körperpsychotherapie kann (taktile) Berührung viele Bedeutungen und Funktionen haben: z.B. Kontakt herstellen, Halt oder Geborgenheit geben, Grenzen wahrnehmen lassen. Außer dem rein funktionellen „Angreifen“ in der Medizin (das natürlich sehr oft indiziert ist) kann man aber auch bewusst anders intendierte Berührungen einsetzen, um dem Patienten das zu geben, was für ihn im Moment gerade wichtig ist.

Fortbildungsangebot der Austrian Association for Bodypsychotherapy (AABP)

Die Körperpsychotherapie ermöglicht eine Erweiterung des Wahrnehmungsspektrums: es werden die vegetativen Phänomene und physiologischen Reaktionen des Körpers in Zusammenhang mit Gefühlen unmittelbar erfahrbar, zuordenbar und damit besser verstehbar und müssen damit nicht von vornherein medikalisiert werden. Chronische Veränderungen im Muskeltonus und Veränderungen des Atemmusters manifestieren sich in der Körperhaltung, in der sich wiederum die Haltung zur Welt offenbart. Dieses Wissen wird in der Körperpsychotherapie bewusst und über das „ Körperlesen“ erfahrbar gemacht. Viele funktionelle oder chronisch-schmerzhafte Erkrankungen, die meist auch medizinisch schwierig zu behandeln sind, können durch Körperpsychotherapie in ihrem biographischen Zusammenhang verstanden werden.

Daraus resultiert sowohl für Patienten als auch für Behandelnde eine verbesserte Kommunikation, da auch die nicht verbalen Botschaften „gehört“ , verstanden und auf der passenden Ebene beantwortet werden können. Auch die Ergebnisse der Psychotraumatologie und ihre Bedeutung für die Medizin werden dargestellt.

Diese Zusammenhänge durch interaktives Lernen und durch eine Synthese aus Theorie und themenzentrierter Selbsterfahrung erlebbar und anwendbar zu machen, ermöglicht ein Kurzlehrgang für Ärzte: Das Weiterbildungs-Curriculum „Körperpsychotherapie und Medizin“ beinhaltet sechs Module und startet am 23. Jänner in Wien. Jedes Modul besteht aus einem Wochenend-Seminar, einem geleiteten Gruppenabend und einem Übungsabend.

Nähere Informationen und die Möglichkeit zur Anmeldungen erhalten Sie bei Dr. Elfriede Kastenberger, Tel.: 0676/91 171 70, E-Mail: mail@aabp.at